Barbara Aland: Die Gnosis

cover-alandBarbara Aland: Die Gnosis.
(Reclams Universal-Bibliothek 19210) Stuttgart: Reclam 2014.
[248 S. ISBN 978-3-15-019210-8]
7.80 €

 

 

Kurz: Die schwer durchschaubare Mythologie der antiken Gnostiker hat Barbara Aland durch den Vergleich mit anderen Denk- und Lebensformen der Antike konturiert. Auch für Anfänger verständlich.

Ausführlicher: Barbara Aland[1] hat ihre ganze Erfahrung und Können eines langen Gelehrtenlebens in ein Buch gesteckt, das für ein allgemeines Publikum zusammen­fasst, was man unter „Gnosis“ versteht.[2] Verständlich und einleuchtend für den komplexen Stoff, der uns in den Texten entgegentritt! Eine Menge Vorurteile hat die Gnosis von ihren Gegnern abgekriegt, den sogenann­ten Kirchenvätern. Die ersten genauen, aber aus der Perspektive eines auf Einigkeit bedachten Bischofs beobachte­ten Berichte über „Gnostiker“ hat Irenäus von Lyon zusammengestellt in seinem fünf Bücher umfassenden Werk „Gegen die Häresien“.[3] Dieses und andere Werke, die sich ihrer „Rechtgläubigkeit“ sicheren Position glaubten bewusst zu sein, grenzten die „Gnostiker“ aus als Häretiker; nach Irenäus, der die Gegner ausführlich zitiert, sind es meist vorurteilsbeladene Polemiken: Gnostiker seien übertrieben selbstbewusst, ethisch überheblich, glaubten, sich durch Erkenntnis selbst erlösen zu können. BA macht deutlich, dass das nicht zutreffen kann, verbieten sich doch die Gnostiker selbst solches Verhalten. Die Forschung zur Gnosis glaubte lange den Kirchenvätern und die Religionsgeschichtliche Schule (bes. Wilhelm Bousset 1907) konstruierte einen Mythos vom Urmenschen, der sowohl erlöst, aber auch selbst erlöst werden muss. Um 1960 änderte sich die Forschung (und was sich verändert hat, hat BA führend mit gestaltet): Carsten Colpe widerlegte den ‚Mythos‘ vom erlösungsbe­dürftigen Erlöser; die Origi­nalschriften der Gnostiker wurden bekannt aus der Bibliothek von Nag Hammadi (57-87).[4] Zwei davon bespricht BA ausführlich, Valentinus und die Sethianische Gnosis (88-153).

Ein Problem für Anfänger (und für die ist es ja geschrieben) stellen die vielen Namen-Begriffe dar, die bei der ersten Erwähnung wenig erklärt werden, wie pleroma oder syzygos. Oder das Wort particula veri (38), das zusammen mit Harnacks Hegelianischem Konzept für Feinde in der Kirchenge­schichte erläu­tert werden müsste: Ihr ‚Bißchen Wahrheit‘ habe die Kirche bewahrt, auch wenn ihre Denker vernich­tet wurden. Dem Problem würde ein Glossar abhelfen. Erfreulicherweise sind die Namen auch auf Grie­chisch geschrieben.[5]

BA nimmt klare Stellung in manchen umstrittenen Fragen, aber die Gegenpositionen sind fair dargestellt und benannt (ausführlicher natürlich in ihrem Anm. 2 genannten Buch). Das Buch enthält Anmerkungen, ein Verzeichnis der wichtigsten Texte und Übersetzungen, eine gute Auswahl aus der Sekundärliteratur. Ihre entscheidenden Thesen stehen 149-153 (und noch mal in den abschließenden Sätzen): Sie hält die Gnostiker weit gehend für Christen, die Sätze des Paulus und Johannes weiter denken in den Denkstrukturen Platons. Sie denken besonders das Böse in der Welt bedrohlicher (105), gegen das sie auf einen Erlöser angewiesen sind. Mit dem Erlö­ser/σωτήρ sei immer Christus gemeint. Daran hält sie auch nach den neuen Versu­chen fest, die sethianische bzw. Barbelo-Gnosis (im Apokryphon Johannis) als älter und vorchristlich zu erweisen. – Wertvoll sind die Kapitel, in denen BA die Gnosis ver­gleicht und einordnet in die antike Religion (Dio Chrysostomos; Aelius Aristides), Ethik und Philosophie (Platon; Numenios).

Die auffällige Aussage vom Anfang, Gnosis sei auf die Antike beschränkt, wird sowohl in der For­schungsgeschichte (eindrucksvoll v.a. zu Hans Jonas[6]) als auch im Schlusskapitel deutlich. Dort setzt sie sich mit dem Lesebuch auseinander, das Sloterdijk und Macho 1993 herausgegeben haben. Nur hat sie da leichtes Spiel mit einem so weichen und weiten Gnosis-Begriff. Ganz anderes Gewicht hat da Wouter Hanegraaff, etwa in Metzler Lexikon Religion.[7] Oder die Frage, wie die Katharer hierher gehören.[8]

Eine gelungene Einführung, die nicht alles über die antiken Gnostiker sagen will, sich beschränkt auf zwei Fälle, dafür aber durch den Vergleich mit anderen Denk- und Religionsformen das Besondere der antiken Gnosis herausarbeitet.

Bremen, am 15.August 2014

Christoph Auffarth
Religionswissenschaft
Universität Bremen

[1] Im Folgenden meist mit ihren Initialen abgekürzt genannt: BA.

[2] Voraus geht eine Sammlung ihrer einschlägigen Aufsätze BA: Was ist Gnosis? Studien zum frühen Christentum, zu Marcion und zur kaiserzeitlichen Philosophie. Tübingen: Mohr Siebeck 2009.

[3][3] Leicht zugänglich in der zweisprachigen (griechisch-deutschen) Edition von Norbert Brox. (Fontes Christiani ) 5 Bände. Freiburg: Herder 1993-2001.

[4] Dazu meine Rezensionen http://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2010/06/10/nag-hammadi-deutsch-herausgegeben-von-hans-martin-schenke-hans-gebhard-bethge-und-ursula-ulrike-kaiser/ ;

http://blogs.rpi-virtuell.de/buchempfehlungen/2012/12/20/foster-die-apokryphen-evangelien/

[5] Einen einzigen Fehler fand ich (99 hat sich διενοεἶτο ein Lenis zuviel eingeschlichen), sonst ist alles perfekt.

[6] Gnosis und spätantiker Geist. 1934, Teil II,1 1954 und der abschließende Teil II,2 (von BA nicht genannt) 1993.

[7] Metzler Lexikon Religion, hrsg. von Christoph Auffarth; Jutta Bernard; Hubert Mohr. Band 1. Stuttgart 1999. Die Unterscheidung in Gnosis I (Antike Gnosis) und Gnosis II (in der Neuzeit), wie wir Heraus­geber sie konzipiert hatten, fiel ihm schwer zu akzeptieren. Er macht seine Kontinuitätsthese dort deut­lich. Weiter sein Dictionary of Gnosis & Western esotericism, ed. Wouter J. Hanegraaff, Wouter J. 2 Bände, Leiden: Brill 2006.

[8] In meinem Die Ketzer (²2009) habe ich eine Kontinuität mit dem Manichäismus verneint.

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