Thomas Kaufmann: An den christlichen Adel

cover-kaufmann-adelThomas Kaufmann: An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung. (Kommentare zu Schriften Luthers 3)

Tübingen : Mohr Siebeck, 2014. xv, 559 Seiten.

ISBN 978-3-16-152678-7. Leinen € 169,–

Der Papst hat die Kirche gekidnappt: Luthers Adelsschrift kommentiert

Zusammenfassend: In scharfem Ton fordert Luther 1520, nachdem das Papsttum sich als nicht reformierbar erwiesen hat und nun den Mönch als Ketzer mit dem Tode bedroht, fundamentale Reformen: die Institution des ‚römischen‘ Papsttums radikal abzuschaffen. Der Umfang des Kommentars rechtfertigt sich als Grundlage für das Verständnis der Sprache, der Denkweise und Argumentation des Reformators.

Im Einzelnen: Im Jahr 1520 war Luthers Leben akut bedroht. Ein Prozess war in Rom anhängig, der wahrscheinlich mit einer Verurteilung als Ketzer enden würde, damit Luther bei lebendigem Leibe verbrannt würde. (Diese Strafe empfiehlt Luther in der Adelsschrift zu verbieten: WA 455,21f). Noch während der Arbeit an der Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation erreichte ihn die Nachricht, dass der Papst ihm den Bann androhe mit der Bulle Exsurge domi­ne! „Herr erhebe Dich!“, 60 Tage ließ man ihm, sich zu unterwerfen, nicht etwa auf die ihm vorgeworfenen Sätze zu antworten. (Die Belege aus Luthers Schriften und in aller Ausführlich­keit, aber auch immer sehr präzise bei Kaufmann S. 2 Anm. 6). Dass die Nachricht zu einer Verschärfung des Tons im letzten Teil der Schrift geführt habe, scheint Kaufmann [1] nicht zutreffend (3 Anm. 6; 19-24). Der – wie zu erwarten war – „Ketzer schrieb im Sommer 1520 um sein Leben.“ (4) Hatte er bis dahin noch bevorzugt, dass der Papst ein Konzil einberufen werde und sich wie Luther ebenfalls den Beschlüssen des Konzils fügen würde, so taucht diese Idee nur noch knapp auf: nämlich als ein von weltlichen Obrigkeiten aufgerufenes Reformkonzil. Der Papst ist nicht mehr Autorität, die Kirche ist ganz durchzogen von den Strukturen seiner gegen das eigene Kirchenrecht verstoßenden Praktiken. Deshalb müssen jetzt die deutschen Regierenden, der Adel, soweit er sich als der christliche Adel deutscher Nation versteht, die Handlung übernehmen. Konsequent ist daher, dass Luther die Ausnahmestellung aller Priester aufkündigt, die diese durch die abgeleitete apostolische Sukzession erhalten, und das „Priestertum aller Gläubigen“ einführt.[2]

Der Text umfasst 66 Seiten in der großformatigen (historisch–kritischen) Weimarer Ausgabe, Band 6, 404-469. Dafür gibt TK einen Kommentar von nicht weniger als 450 Seiten! Und doch kein Gerede oder nur Nacherzählung, sondern jeder Satz ist infor­ma­tiv und mit Parallelen aus der Adels-Schrift selber, aus den Briefen und anderen Schriften Luthers, aus einer Viel­zahl anderer Reformatoren oder Reformationsgegnern (das Quellenverzeichnis auf den sechs Seiten 511-16) erklärt und parallelisiert. Der Abschnitt beginnt je mit dem Zitat aus der WA in kursivem Petitsatz, also in der originalen Sprache, wie sie gedruckt wurde. Bestechend ist TKs philologi­sche Kompetenz des Frühneuhoch­deut­schen Luthers. Wo sonst eher eine Paraphrase über schwierige Stellen hinweg verhüllt, stellt sich TK jedem Wort. Dann erklärt er die rhetorische Argumentation des jeweiligen Abschnitts, wo Luther Sprichwörter verwendet, wo er auf Reichstags­beschlüsse oder die gravamina verweist, [3] wo neue Wörter eingeführt werden (wie pracktick WA 418,6) oder todstocknarn etwa „Riesenvollidioten“, das nur dieses eine Mal belegt ist.

Der Aufbau lässt sich folgendermaßen beschreiben. Nach dem üblichen Widmungs­brief eröffnet Luther 404,11 mit dem Biblischen Sprichwort (Prediger 3,7b) „Schwei­gen hat seine Zeit, Reden hat seine Zeit“ Jetzt ist Zeit zu reden! Und zu kämpfen in christlicher militia, d.h. mit dem Wort. Denn es gilt die Festung einzunehmen, die die römische Kirche mitten in Deutschland aufgebaut hat. Sie wird – wie Josua Jericho einnahm – durch das Blasen von Posaunen mit ihren Mauern einstürzen (407,4f). Luther spricht den (gerade erst gewählten) Kaiser und den christlichen Adel deutscher Nation an (405, 9f). Sie sind aufgerufen, mit allen Laien, das Konzil einzuberufen und Kirche neu zu denken und aufzustellen.

Teil A (WA 406,21-415,6; TK 70-140) stellt im Bild von den drei Mauern dar, wie die Romanisten sich eine Festung um sich gebaut hätten: Mauer 1 ist die Behauptung, die geistliche Gewalt stehe über der weltlichen. Mauer 2 gibt dem Papst alleinige Deu­tungs­gewalt über die Bibel und Mauer 3 sei die Beschränkung, niemand dürfe ein Konzil einberufen als allein der Papst. Damit kann der Papst mithilfe des Kirchenrechts jede Reform unterbinden. Luther bringt die Mauern zum Einsturz durch Bibelzitate.

Teil B (WA 415,7-427,29, TK 141-211) behandelt die Aufgaben eines von den Laien, dem Adel, einberufenen Konzils. Der Papst habe ein „teuflisches Regiment“ aufgebaut (in der Schrift wendet Luther erstmals in der Öffentlichkeit den Titel „Antichrist“ auf den Papst an: 453,10 und vielfach) und unter dem Vorwand des Krieges gegen die Türken sei er der größte Dieb, die römischen Türken gewissermaßen. Riesige Summen habe er aufgehäuft und die Deutschen ausgeplündert, dagegen müsse und habe der christliche Adel das Recht dazu, sich nun daraus zu befreien durch Abschaffung des römischen angemaßten Rechts.

Teil C (WA 427,30-468,27; TK 212-502) sammelt 27 Reformartikel, wie die Macht der römischen Kirche abgeschafft werden soll: Keine Zahlungen mehr für Annaten, Bistümer werden nicht mehr von Rom aus besetzt, auch keine Reservationen vorbehalten, und Eidleistungen abgeschafft. Zentral ist Artikel 9: die Ableitung aus dem Privileg, dass der Papst über dem Kaiser stehe und der Kaiser sein Recht als Lehen vom Papst erhalten habe, ist falsch. Schon der römische Humanist Lorenzo Valla hatte ja bewiesen, dass die „Konstantinische Schenkung“ (Als Dank für seine Heilung vom Aussatz schenkte Kaiser Konstantin sein Reich an Papst Silvester und der verlieh ihm die Herrschaft, aber muss dafür er dem Papst Dienste erweisen) eine spätere Fälschung sei.[4] Es folgen Artikel (12) gegen das Wallfahrtswesen, [13] das Mönchtum soll aufgehoben werden, (14) es geben keine biblische Stelle, die die Verpflichtung der Priester zum Zölibat/Ehelosigkeit rechtfertige. (16) Nutzlos seien die Stiftungen von Messen für die Verstorbenen, (21) Verbot des Bettelwesens zugunsten eines geordneten Sozialstaats. (23) gegen die Bruderschaften, (24) das Verhältnis zur Reformation des Jan Hus in Tschechien. Artikel 25 setzt sich ein für eine Bildungsreform. Und fundamental Artikel 26 die Übertragung des Reiches an die Deutschen.

Der Band ist mit Indices hervorragend ausgestattet: Bibelstellen sind für Luther besonders wichtig, darunter vor allem die Paulusbriefe. Im Namenregister sind sowohl antike wie Namen des 16. Jh.s aufgeführt, ebenso im Ortsregister. Gold wert aber ist das sorgfältige Sachregister. Die gegenüber dem Text Luthers umfangreiche Kommentierung lohnt es durchzuarbeiten, um damit eine Grundlage zu haben, die originalen Texte Luthers verstehen zu können – und nicht sich auf Paraphrasen in heutigem Deutsch verlassen zu müssen. Der radikalen Sprache entspricht eine radikale Alternative, die nicht Reform, sondern Revolution denkbar und machbar vorstellt.

15. März 2015 Christoph Auffarth
Religionswissenschaft
Universität Bremen

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[1] Im Folgenden meist abgekürzt mit den Initialen TK. Den originalen Text zitiere ich nach der Weimarer Ausgabe WA 6, 404-469. Den Kommentar mit TK und den Seitenangaben.
[2] Apostolische Sukzession beruft sich darauf, dass Jesus Matthäus 16,18 dem Petrus die Schlüssel des Himmels und der Erde überträgt und dieser Apostel seinen Nachfolgern (successor) diese jeweils weitergibt. Priester wird man, indem man von den Weihbischöfen, die der Papst dazu autorisiert hat, ordiniert und geweiht wird. Die Ordination gilt katholisch als eine der sieben Sakramente. Dagegen Luther WA 412, 37f; KT 125-127. Stein des Anstoßes für die altgläubigen Kritiker Luthers 41 f Anm.213.
[3] Gravamina Beschwerden sind eine Textsorte von Kritik, immer wieder vorgebrachter Kritik, die während des 15. Jh.s auf jedem Reichstag vor dem Kaiser vorgebracht, mit Lösungsvorschlägen Remedium Therapie, aber nie gelöst wurden. Als Referenztext dienen hier Die gravamina Germanicae nationis … Schlettstadt 1520. Im VD 16 das Digitalisat
[4] Lorenzo Valla: Declamatio de falso credita et ementita donatione Constantini (etwa 1440). Zuvor schon Nikolaus von Kues.

 

 

 

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