Den Himmel öffnen

cover-mittelalterlichTherese Bruggisser-Lanker (Hrsg.): Den Himmel öffnen. Bild, Raum und Klang in der mittelalterlichen Sakralkultur.

 

Bern: Lang 2014. [157 S. (Schweizerische Musikforschende Gesellschaft 56) Bern: Lang 2014. [ISBN 978-3-0343-1269-1]

 

Den Himmel erleben in irdischen Medien

 

Kurz: Musikwissenschaftler, Historikerin und Architekturhistoriker betrachten die Medien im Kirchenraum, die „den Himmel öffnen“.
Ausführlich: Angeschlossen an eine Ausstellung in der Bibliothek des Klosters St. Gallen veranstaltete die Schweizerische musikhistorische Gesellschaft eine kleine Tagung. Im Mittelpunkt steht der Kirchenraum als ein symbolischer Raum, der sowohl als materielle Gestalt den „Himmel“ symbolisiert als auch dass der Raum verweist auf einen anderen Raum, der noch nicht erreichbar ist, die eschatologische Figur des Himmels [1]  Als Einführung interpretiert die Musikwissenschaftlerin Therese Bruggisser-Lanker [2] die „Mittelalterliche Kunst zwischen Wahrheitssuche, Gotteserfahrung und Ewigkeitssehnsucht“ (9-33). Als Religionswissenschaftler stutzt man, dass Nachbarwissenschaften noch immer das alte Paradigma verwenden, das seit Rudolf Otto 1917 das Heilige als einen Gegenstand bezeichnet, den man nicht beschreiben, sondern nur erfahren kann [3]. Die kulturwissenschaftliche Wende in der Religionswissenschaft verlangt, dass man den zeitlichen und kulturellen Kontext und den sich darin verändernden Gegenstand beschreibt, wie er sich in irdischen Worten, Medien, Sinnen von Zeitgenossen wahrnehmen ließ. TBL spricht die Aisthesis/Wahrnehmung durchaus an (allerdings nicht zeitlich-kulturell differenziert) und es gibt Passagen, in denen z.B. der Aufstieg in den Himmel über die Jakosbleiter als Tonleitern musikalisch dargestellt ist. – Die Historikerin Gabriela Signori greift auf, was sie in einem Buch begonnen hat über den Raum der Kirche [4] mit einem Beitrag „Das innere Gesprach mit Gott. Repraesentatio und Imaginatio in der spätmittelalterlichen Theologie bzw. Theorie des Bildes und der Bilder“ (35-56). Das Kapitel zeigt in aller Kürze, aber gut aufgebaut, wie im 15. und 16. Jh. die Stifter der Bilder aus dem Rand zur Person in der Heilsgeschichte werden können, wenn der Kanzler Rolin Maria und ihrem Kind gegenüber sitzt (49) oder die Stifter unter dem Kreuz knien. Was man jedoch nicht ableiten kann ist die These, dass sie „auf Augenhöhe mit Gott in ein Zwiegespräch treten“. (56) Die Gebärde des Betens ist beibehalten. – Jens Ruffer schließt mit einem Aufsatz an zu „Raumerfahrung und Raumwahrnehmung im Mittelalter: Gervasius von Canterbury: De combustione et reparatione Cantuariensis ecclesiae” (57-83). Der mittelalterliche Text (kurz vor 1200) umfasst drei Beschreibungen des Kircheninnerns vor dem Brand von 1070, den Neubau und den erneuten Neubau von 1185. Die Beschreibung ist nun gar nicht raumlogisch, auch kein Rundgang, sondern additiv, assoziierend und auf die heilsame Wirkung der Reliquien konzentriert. Die Fragestellung des Bandes wird eher gestreift, wenn JR beschreibt, wie die Akustik des Chores für die Laien nur über das Echo von den Gewölben her wahrgenommen werden konnte und daher als „himmlische“ Musik wahrgenommen wurde. Das besagt der Text nicht. Zur Akustik (und das gilt erst recht für die Mehrstimmigkeit) wäre das wichtige Buch von Wenzel heranzuziehen [5]. – Sehr spannend ist schließlich die Darstellung von Wolfgang Fuhrmann, „»Englische« und irdische Musik im 15. Jahrhundert“ (85-131). Denn man liest immer wieder, dass das Mittelalter nur den gregorianischen Gesang unisono/einstimmig erlaubt habe, während polyphon als teuflische Vielfalt gegolten habe. Demgegenüber zeigt WF, dass auch die Polyphonie eine eigene Würdigung erfuhr, nämlich als die Musik der Engel, als „Englische“ Musik. Engel und Menschen singen polyphon als Jubilus etwa bei der Auffahrt Mariens in den Himmel (121-131), wie auch eine sehr gelungene Bildinterpretation zeigt. Und er betont, dass die Musik der Engländer in der Zeit der Besatzung Nordfrankreichs 1415-1453 bedeutenden Einfluss auf die kontinentale Musik ausgeübt habe über das Welttreffen der Kirche auf dem Konstanzer Konzil als Forum der Verbreitung. Die Aufsätze sind mit farbig gedruckten Abbildungen textbegleitend illustriert. Auf 25 Seiten ist die gemeinsame Bibliographie zusammengestellt (die in den Fußnoten schon einmal vollständig genannt ist). Ein schmaler Band mit gewichtigen Beiträgen.
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[1] Die Ambivalenz des Kirchen-Raumes zwischen „schon da“ und „jetzt noch nicht“ nennt man theo­logisch „proleptisch“ (vorweg genommen).

[2] Die AutorInnen kürze ich im Folgenden mit den Initialen ab. Die Zahlen sind Seitenzahlen.

[3] Etwa die „numinose Aura“ (21; 33), zitiert ist das Heilige und das Profane von Mircea Eliade. Meine Kritik an der Methode der Religionsphänomenologie „Sind heilige Stätten transportabel? Axis Mundi und soziales Gedächtnis“. In: Axel Michaels; Fritz Stolz (Hgg.): Noch eine Chance für die Religionsphäno­meno­logie? (Jahrbuch Studia Helvetica Religiosa 5, 2000/2001) Bern: Lang 2001, 235-257.

[4] Gabriela Signori: Räume, Gesten, Andachtsformen. Geschlecht, Konflikt und religiöse Kultur im europä­ischen Mittelalter. Ostfildern: Thorbecke 2005.

[5] Horst Wenzel: Hören und Sehen, Schrift und Bild. Kultur und Gedächtnis im Mittelalter. München: Beck 1995.

 

 

Februar 2015
Christoph Auffarth,
Religionswissenschaft,
Universität Bremen

 

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