Christen, Juden und Muslime im mittelalterlichen Sevilla

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Wiebke Deimann: Christen, Juden und Muslime im mittelalterlichen Sevilla. Religiöse Minderheiten unter muslimischer und christlicher Dominanz, 12. bis 14. Jahrhundert.

(Geschichte und Kultur der Iberischen Welt 9) Berlin: LIT 2012. [367 S. ISBN: 978-3-643-11554-6. Diss. Erlangen 2012]

 

 

 

Das Goldene Zeitalter des Zusammenlebens der Religionen? Sevilla im Hochmittelalter

Zusammenfassend: Multireligiöse Gesellschaften sind nicht etwas Neues, das erst in der Moderne durch die Globalisierung entstanden ist und als Clash of civilizations – Krieg der Kulturen misslingen muss. Das mittelalterliche Spanien gilt als Modell eines gelungenen Zusammenlebens. Wiebke Deimann beschreibt die historische Realität einer spanischen Stadt.

 

Im Einzelnen: In ihrer Dissertation nimmt sich Wiebke Deimann[1] ein gewichtiges Thema vor, das weiterer Forschung bedarf. Für die einen gilt die Zeit der islamischen Herr­schaft in Spanien als das Goldene Zeitalter der Toleranz, in der das Zusammen­leben (convivenzia) der Religionen gelang wie nirgend sonst im Mittelalter, während mit der christlichen Herrschaft die Intoleranz, Zwangstaufe, Inquisition beginnt. Für die anderen befreit die christliche „Rückeroberung“ (reconquista) von der islamischen Fremdherrschaft und begründet das christliche Spanien. Eine Generation nach dem Ende der sich als Retterin des christlichen Spanien darstellenden Diktatur Francos muss die Forschung nicht mehr ideologische Bastionen verteidigen.[2] Mit umfassen­der Kenntnis der Forschungsliteratur (in bewundernswert vielen Sprachen) benennt WD die ideo­logischen Hintergründe für die Positionen und Begriffe und prüft, ob man sie weiter­ver­wen­den kann, vor allem aber, wie man sie erforschen kann.[3] WD verfügt über die Kompetenz der arabischen, lateinischen und altspanischen Sprache der Quellen und ist damit eine der wenigen, die den Kulturkontakt aus beiden Per­spektiven beschrei­ben kann.[4]  Einschränkend nur, dass in einem Buch über religiöse Minderheiten und Dominanz Religi­onswissenschaft von der Geschichtswissenschaft nicht wahrgenom­men wird.[5]

Religionswissenschaftlich ist es für die Frage der Toleranz anderer Religionen durch­aus bedeutsam, dass das Christentum dafür kein Konzept entwickelt hat, sondern den Islam als Häresie betrachtete, der also in Kenntnis der Offenbarung diese leugne­te,[6] während im Islam ‚Völker des Buches‘ von Gott wenigstens teilweise die Offen­barung mitgeteilt bekamen und folglich in weiterem Sinne positiv zur Religion gehörten. In der Umsetzung kann das freilich steuerliche Knebelung der Dhimmis bedeuten. Ausführlich und differenziert ist das diskutiert auf S. 75-88, es fehlt allerdings die zeitgenössische Debatte zwischen Bernhard von Clairvaux und Petrus Venerabilis.[7] Im Ergebnis zeigt sich doch, dass das muslimische  Herrschaftskonzept ein anderes Grundprinzip besitzt. Hat die christliche Herrschaft etwas von der Toleranz-Politik bewahrt, obwohl ihr religiös nur ein dazu widersprüchliches Konzept (Häresie, Heiden) zur Verfügung steht? Positiv beantwortet WD das S. 237: Alfons X., genannt der Weise setzt die herrschaftliche Toleranz fort.

WD untersucht einen Umbruch an dem konkreten Fall der lokalen Religionsge­schich­te einer Stadt, Sevilla, die 1248 von den christlichen Königen Spaniens erobert wurde. Dort hatten seit hundert Jahren die Almohaden ihr Herrschaftszentrum auf­gebaut und damit sind schon zwei islamische Epochen zu unterscheiden, denn die älteste Moschee der Stadt ist nach der Gründungsinschrift auf 829 zu datieren. Mit der christlichen Eroberung der Stadt ändern sich aber nicht nur die Herrschafts­verhältnisse, sondern auch die Mehrheiten: Ein großer Teil der Muslime verlässt die Stadt, so dass die Muslime zur Minderheit werden, genauso wie die Juden immer eine Minderheit bildeten,[8] sowohl unter islamischer wie unter christlicher Herrschaft, während die Christen zur Mehrheit werden.  So entstehen nach der Eroberung durch die christlichen Könige wieder zwei Epochen: die Regierung des ‚weisen‘ Alfonso X. und das Judenpogrom 1391.

Diese vier Epochen untersucht nun WD. Zunächst  die Stadt als „Raum“ im Sinne des spatial turn (49-66). Das verschenkt einiges (die Lage der Stadt Sevilla, warum als Zentralort der Herrschaft interessant?), öffnet aber einen wichtigen Typus der Eigen­ständigkeit, der funduq (it. fondaco, in Venedig der fondaco  dei tedeschi, u.a.): Aus­länder müssen in der mediterranen Stadt in einem bestimmten Haus/Viertel wohnen. Heißt das auch für die permanent wohnenden Minderheiten abgetrennte Viertel wie das Ghetto in Venedig?[9] Oder autonome Freiräume in abgegrenzten Vierteln der Stadt. Oder: wohnten die Religionskulturen gemischt? WD bevorzugt und begründet Letzteres (mehrfach aufgegriffen: 255-258; 264). Das wird später noch einmal aus­führ­licher diskutiert: Toleranz-Konzepte im Islam unter dem Prinzip der Völker des Buches Ahl al-Kitab.[10] Die Konkretisierung erfolgte unter den Marktord­nungen. Das ist eine zentrale Quelle für WD, die Markt­ordnung des Ibn cAbdun (88-122). Indem WD sie mit anderen Ordnungen vergleicht, kann sie diese vorzüglich einordnen. Ein anderes in der Wissenschaft gerade intensiv diskutiertes Thema, die ‚Übersetzer-Schule von Toledo‘, charakterisiert WD magistral 104 und A. 158; 164. Historisch ein großer Gewinn, dass WD differenziert: Die arabisch sozialisierten Christen (Mozara­ber) stellen sich nur zu einem kleinen Teil auf die Seite des Kriegs­zugs des christ­lichen Kreuzfahrers Alfons I. (1125/26). Als dieser aber das muslimi­sche Gebiet nicht dauerhaft besiegen kann, leiden die arabischen Christen alle darun­ter: der kleinere Teil wandert aus in christliche Gebiete Spaniens, ein Teil wird nach Nordafrika de­por­­tiert; die alten Rechte werden eingeschränkt. Immerhin plädieren muslimische Rechtsgelehrte dafür, dass die Stiftungen (Grundlage des Einkommens der christ­lichen Kleriker) nicht säkularisiert werden. Christen sind nicht gleich Christen! Latei­nische Christen rügen das.[11] Erst jetzt werden die Christen im arabischen Gebiet als Christen und potentielle Kollaborateure verstanden und nicht mehr als verwurzelte Nachbarn (123-154). Das ist ein zentraler Fortschritt der Forschung! Ausgezeichnet die Darstellung des Religionsrechts in den Siete partidas (219-240). Dabei spielt eine wichtige Rolle, dass Alfons X., der Weise, sich als Kaiser der Christenheit verstand und dementsprechend Prinzipien von Herrschaft für die drei Religionen entwickeln wollte, die die drei Religionen konzeptionell umfassen konnte, wie er selbst in seiner Grabinschrift in vier Sprachen vorgab.[12]

Die christliche Aufteilung der Stadt (Karte S. 189) gesteht den Juden ein Judenviertel direkt unterhalb der Königsburg zu, lässt Hofjuden aber zwischen Luxus und Hin­richtung in der Schwebe, während für Muslime im christlichen Reich kein Rechts­raum vorhanden ist. Alfons gewährt ihnen keine Moschee (243-259). Wie es schließ­lich gut hundert Jahre nach seinem Tod 1391 zu dem Judenpogrom kam, nachdem die jüdische Ge­mein­de lange eine privilegierte Stellung und wirtschaftliche Macht besaß, und wie sich das schon vorher andeutete, ist im letzten Kapitel herausge­arbeitet: die flagran­ten antijüdischen[13] Übergriffe im spätmittelalterlichen Europa erreichen über kirch­liche Autorität nun auch Spanien; damit endet eine eingespielte Nachbarschaft.

Das broschierte Buch ist fadengeheftet, also viele Male zu benutzen. Es verdient es auch. Die Einschränkungen sind minimal. Der Autorin kann ich nur gratulieren für diese ausgezeichnete Dissertation und eine große Karriere wünschen.

In einer lokalen Religionsgeschichte ist es der Autorin Wiebke Deimann gelungen, sehr differenziert das komplexe Thema nicht auf eine These und einen Gegensatz zu reduzieren, sondern die Vielfalt abzubilden. Jede Religionsgeschichte des Mittelalters wird ihr Buch zur Grundlage für das Mittelalter  im spanischen Raum nehmen müssen, weit über Sevilla hinaus. Das Zusammenleben von Juden, Christen, Musli­men, die religiösen Konzepte monotheistischer Religionen (Häresie/Völker des Buches), die Rechtsordnungen der Herrscher, das Steuersystem, die räumlichen Orte in der Stadt: das Buch bietet ungeheuer viel Information und weiter entwickelte Theorie. Die Dissertation schon ein Meisterstück!

 

5. August 2013                                                                                        Christoph Auffarth

Religionswissenschaft

Universität Bremen


[1] Im Folgenden meist abgekürzt mit den Initialen WD.

[2] WD verzichtet auf eine ausführliche Darstellung der Debatte und verweist 13 Anm. 4 auf die Protagonisten und die Debatte.

[3] Exzellent die knappen Forschungsberichte über Toleranz 21 f. convivenzia  22. Mozaraber 26-32, Reconquista 19, Anm. 20.

[4] Zu den arabisch sprechenden Minderheit der Christen unter arabischer Herrschaft, die Mozaraber genannt werden, 26-32.

[5] Das liegt nicht an WD. Konzepte wie Lokale Religionsgeschichte, religiöser Pluralismus im Mittel­alter, religiöse Polemik, Einheitskultur sind in der Mediävistik nicht rezipiert, dazu vgl. Auffarth, Religiöser Pluralismus im Mittelalter? Münster; Berlin: LIT 2007. Auffarth, Pluralität, Einheitszwang und Pluralismus. Religionen im latein-europäischen Mittelalter. In: Karl Gabriel, Christian Spieß, Katja Winkler (Hrsg.): Modelle des religiösen Pluralismus. Historische, religionssoziologische und religionspolitische Perspektiven. (Katholizismus zwischen Religionsfreiheit und Gewalt 5) Paderborn. Schöningh 2012, 51-79.

[6] Auffarth, Heilsame Gewalt? Darstellung, Notwendigkeit und Kritik an Gewalt in den Kreuzzügen. In: Manuel Braun; Cornelia Herberichs (Hg.): Gewalt im Mittelalter. Realitäten – Imaginationen. Mün­chen: Fink 2005, 251-272. Toleranz (Duldung) ist ein römisch-staatlicher Begriff, der erst in modernen Staatswesen wieder einen Freiraum für andere Religion ermöglicht. Er ist hier mitunter verwechselt mit der modernen sog. Religionsfreiheit, die ihre eigenen Einschränkungen hat. Hubert Cancik: Toleranz. Der Neue Pauly 12/1, 2002,  657-659.  Hubert Cancik /Hildegard Cancik-Lindemaier: Mora­lische tolerantia – wissenschaftliche Wahrnehmung des Fremden – religiöser Freiheit und Repression. Bemerkungen zum ”Kulturthema Toleranz” in der griechischen und römischen Antike. In: Alois Wierlacher (Hg.): Kulturthema Toleranz. Zur Grundlegung einer interdisziplinären und interkulturellen Toleranzforschung. München 1996, 263-282.

[7] Auffarth, Gewalt 2005.

[8] Zu Minderheit hat WD sich Gedanken gemacht, aber nicht den wichtigen Artikel von Dietrich Kurze aufgenommen: Häresie und Minderheit im Mittelalter. Historische Zeitschrift 229 (1979), 529-573; wieder in: D.K.: Klerus, Ketzer, Kriege und Prophetien (1996), 196-242. Und das Konzept Liminalität (Victor Turner, weiterführend gegenüber Marginalität) spielt keine Rolle: Minderheiten sind nicht nur ausgegrenzt, sondern entwickeln eigene Werte gegen die Mehrheit.

[9] Als Fragestellung wichtig Richard Sennett: Fleisch und Stein. Frankfurt 1996, 267-314. Zum Zu­sammenleben in mediterranen Städten s. Auffarth: Pluralität 2012 (nächste Anmerkung), 51-79.

[10] S. 75-88: Das Ergebnis ist etwas willkürlich: „Unbestreitbar ist jedoch, dass die dimmiyyun auch ohne gewaltsame Verfolgung einem Druck durch den Islam ausgesetzt waren, der im Verlauf der Zeit zu ihrem zahlenmäßigen Rückgang und teilweise gänzlichen Verschwinden führte.“ Das kann man für die Juden des 19. Jh.s in Europa auch konstatieren, ohne dass ein Zwang ausgeübt wurde. Vgl. Auffarth: Pluralität, Einheitszwang und Pluralismus. Religionen im latein-europäischen Mittel­alter. In: Karl Gabriel, Christian Spieß, Katja Winkler (Hrsg.): Modelle des religiösen Pluralismus. Histo­rische, religionssoziologische und religionspolitische Perspektiven. (Katholizismus zwischen Religionsfrei­heit und Gewalt 5) Paderborn 2012, 51-79.

[11] Der Brief Hugos von St. Victor ist bibliographisch nicht ganz genau in der Bibliographie eingeordnet (statt unter Hugo unter Patrologia, aber 149 A. 313 genau beschrieben – Ähnliche kleine bibliogra­phi­sche Fehler finden sich auch sonst. Ordericus Vitalis muss zitiert werden nach Buch und Kapitel, erst dann nach der Seite der Edition). Das Concilium Lateranense IV, c. 68 kann erst danach in der neuen Edition von J. Wohlmuth zitiert werden 235 A. 119. Die Bibliographie ist, von den wenigen Ausnah­men der Quellen-Zitate abgesehen, exzellent. Tadellos die komplizierte Umschrift des Arabischen. Ein Fehler in der Umschrift des Hebräischen: 197 cahal richtig kahal. Lateinisch 234 corum statt eorum. Angesichts der zahllosen Zitate in vielen Sprachen ist das Werk praktisch fehlerfrei!

[12] 206-210 (Grabinschrift 209). 240-243. „Konzeptionell“ mit Verweis auf Schlieben, Verspielte Macht, Berlin 2009.

[13] Der Begriff Antijudaismus wäre präziser zu verwenden: meist ist anti-jüdisch und nicht die theolo­gisch begründete Verwerfung des zeitgenössischen Judentums gemeint.

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