Zwischen Zeugnis und Zeitgeist

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André Fischer: Zwischen Zeugnis und Zeitgeist. Die politische Theologie von Paul Althaus in der Weimarer Republik.

(Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte B 55) Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012. 800 S. [Diss. Erlangen-Nürnberg 2010/11. ISBN 978-3-525-55786-0] € 130,00

 

 

Der lutherische Theologe Paul Althaus nach dem Ersten Weltkrieg und vor dem Zweiten

Aus Anlass des 125. Geburtstag von Paul Althaus, 1888-1966[1] erscheint  neben der Biographie von Gotthard Jasper,  dem zwei Generationen  [*1934] Älteren (die CA auf der gleichen Internetseite besprochen hat) die umfangreiche Mono­graphie zu seiner politischen Theologie 1918-1933 (eigentlich bis 1938). Sie schließt chronolo­gisch an an die Disser­tation von Roland Lieberg zu Althaus‘ Zeit als Militärpfarrer im Ersten Weltkrieg und seiner Identifizierung mit dem Deutschtum in Ostmittel­europa über seine Frau, die als Deutsche in Warschau geboren ist.[2] Das Buch ist hervorgegangen aus der Dissertation in der Kirchengeschichte an der Theologischen Fakultät, an der Althaus von 1925 bis zu seinem Tod 1966 lehrte und arbeitete. Die Generation des Doktor­vaters Berndt Hamm hat eine Distanzierung gefordert und ist in die Kontroverse geraten, wie lokale Bewertung und prinzipielle Einord­nung gelöst werden können.[3] Die Arbeiten von Leonore Siegele-Wenschkewitz ha­ben früh einen Weg aufgezeigt, das Biographische, das Institutionelle (Wissenschaft und Fakultät) und das Politische nicht zu ver­mischen, Menschen aus ihrer Zeit und nicht aus der Generation der Nach­geborenen zu verurteilen, wohl aber die Hand­lungs­­optionen zwischen Karriere und Verantwortung auszuloten. Im Anschluss an Notker Slenczka will André Fischer[4] die subjektive Wahrnehmung der Situation rekon­stru­ieren und damit die Maßstäbe von handelnden Personen in der Geschichte deutlich machen. Und mit Friedrich Wilhelm Graf will er eine moralische Distanz­nahme vermeiden.  Um das Beziehungsgeflecht zwischen theologischer Theorie­bildung und biographi­schem Hintergrund verstehen zu können, müsse zur Theo­logie- und Kirchenge­schich­te die Sozial-, Mentalitäts- und Ideologiegeschichte hinzutreten (die Bedeutung der Religionsgeschichte/Religionswissenschaft ist ihm nicht bewusst: S. 13-22). Das im Titel angesprochene Konzept „Politische Theologie“ oder „Politische Religion“ ist dem Autor völlig unbekannt: die aufregenden Debatten über Politische Religion oder Zivilreligion der Weimarer Zeit, in denen PA sich posi­ti­oniert, kommen in dem Buch nicht vor! Kein Carl Schmitt, kein Erik Peterson, kein Eric Voegelin, aber auch die reformierte Position von Karl Barth nur am Rande. Es wäre eine wichtige Aufgabe, eine – zu diesen eher katholisch bestimmten – Diskursen die protestantischen Gegen­positionen darzustellen.[5]  AF stellt die Positionen von PA umfassend dar, aber ohne die Gegenposition lassen sie sich nicht einordnen. In der  ordentlich reichen Biblio­gra­phie (etwa 330 Einträge) ist weniger als ein Viertel zeitgenössische Literatur, und das zumeist direkt auf PA re­agierende Schriften.  So bietet diese Analyse der Ent­wick­lung eines Theologen innerhalb von 15 Jahren auf 800 Seiten eine wertvolle Sammlung von Zitaten, einen Reader’s Digest zu PA, aber keinen Diskurs zu der Frage, wie sich eine ehemals protestantische Staatskirche in einem Staat einfügen kann, der von Katholiken, Sozialisten, Juden demokratisch getragen wird, während die Protestanten sich auto­kratischen Staatsmodellen (gegen AF) widmen.

Das Buch bietet viel: Eine umfassende Bibliographie aller Veröffentlichungen von PA auf 67 Seiten, die subjektive Wahrnehmung der Situation in vielen, gut gewählten Zitaten aus PAs Werken. Aber es fehlt etwa die Sozialgeschichte der Deutschen in Ostmittel­europa, das Deutschtums, das die Deutschen als „erziehende Leitkultur“ verstanden gegenüber einer slawischen  Dienerin.[6] AF beachtet nicht die Sozialge­schichte der Deutschen in Polen, der Bürger, der Pfarrer, der Soldaten: alles nur aus  der Sicht von PA! AF untersucht die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg aus der Sicht von PA 93-144. PA wendet sich gegen den Pazifismus, Krieg sei eine von Gott ge­wollte Entscheidung (132 A. 40).  Dann PAs Geschichtstheologie als Krisenver­arbeitung, PA als Professor in Rostock 1919-1925  (S. 145-273) Hier geht es um die Fragen des Religiösen Sozialismus und Althaus` Gegenentwurf einer Ordnungstheo­logie: Lassen sich An- und Ablehnungen finden? Wie ist das Verhältnis zu der refor­mierten Position zu Religion und Politik, wie sie in der Barmer Erklärung formuliert wird, und gegen die PA sich zu seinem Erlanger lutherischen Gegenentwurf erklären zu müssen glaubt. Zu PAs Ökumenekonzept fehlt die Einordnung in die Una sancta Bewegung: Ökumene beschränkt sich weitgehend auf die anglikanische Kirche und die schwedischen Lutheraner. Als Gegenstück zur Stockholmer Missionskonferenz muss man die Erklärung auf davor liegenden World Mission Conference 1910 in Edin­burgh kennen; trotz der offenkundigen Krise der christlichen Völker im Ersten Weltkrieg bleibt das Missionskonzept das gleiche!

Interessant ist im 5. Kapitel zur „Judenfrage“ (475-538) die Beobachtung, dass das Thema vor 1928 in Althaus‘ Schrifttum keine Rolle spielt, dann aber prominent. Dieses Kapitel kann einigermaßen differenziert PA in seinen zeitgenössischen Kontext einordnen, bleibt aber viel weniger kritisch als Jasper in diesem Punkt urteilt. Für die zeitgenössischen theologischen, insbesondere Barths Haltung zu den Juden sollte man Eberhard Busch kennen.[7] Keine der führenden Biographien der zeitgenössischen Theologen findet sich im Literaturverzeichnis![8] Die Zustimmung zum Dritten Reich (599-678) weiche einer zunehmenden Distanzierung. Aber bis 1938 ist davon kaum etwas zu erkennen in den Zitaten, die AF dafür als Beweise erkennen will. Im Fazit wird manche Einschätzung kritischer als in den Kapiteln zuvor, wo über wohlmeinendem Mitdenken der Positionen PAs verloren geht, dass PA in einem Diskurs mit den Zeitgenossen durchaus umstrittene Positionen besetzt.

Leider ist es AF in diesem fleißigen und umfangreichen Buch nicht gelungen, PAs Stellung in einem Diskurs der Zeit so einzuordnen, dass seine Thesen Profil ge­winnen. Ein Index wenigstens der Namen fehlt.

August 2013                                                                                     Christoph Auffarth
Religionswissenschaft,
Universität Bremen


[1] Gotthard Jasper: Paul Althaus 1888-1966. Professor, Prediger und Patriot in seiner Zeit.  Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2013.  Weitere Literatur zu PA habe ich dort genannt. Tanja Hetzer: “Deutsche Stunde”. Volksgemeinschaft und Antisemitismus in der politischen Theologie bei Paul Althaus. München: Allitera 2009. [295 S. Diss. Brighton, University of Sussex 2007]. Gotthard Jasper: Das Hermannsburger Erbe dokumentiert an einem Briefwechsel zwischen Paul Althaus, Vater, und Paul Althaus, Sohn. in: Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte 107 (2009), 159-172. Roland Liebenberg: Der Gott der feldgrauen Männer. Die theozentrische Erfahrungstheologie von Paul Althaus d. J. im Ersten Weltkrieg. Leipzig: Evang. Verlags-Anstalt 2008. Rez. Martin Ohst: Dutch review of church history 90 (2010), 483-491. Roland Kurz: Nationalprotestan­tisches Denken in der Weimarer Republik. Voraussetzungen und Ausprägungen des Protestantismus nach dem Ersten Weltkrieg in seiner Begegnung mit Volk und Nation. Gütersloh: Gütersloher GVH 2007. Rez. Christoph Auffarth: Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsi­sche Kirchengeschichte 107 (2009), 159-172.

[2] Roland Liebenberg: Der Gott der feldgrauen Männer 2008 (wie vorige Anm.).

[3] Jasper, der das Zweitgutachten erstellte, steht für die Identifikation: der gleichen sozialen Herkunft, der Frömmigkeit, des lutherischen Protestantismus, der Institution Universität Erlangen. AF hatte offenbar Jaspers Biographie nicht vorliegen.

[4] Im Folgenden mit den Initialen AF abgekürzt; PA steht für Paul Althaus.

[5] Viel zitiert, aber leider nicht als Leitfrage verstanden ist das ausgezeichnete Buch von Klaus Tanner: Die fromme Verstaatlichung des Gewissens. Zur Auseinandersetzung um die Legitimität der Weimarer Reichs­ver­fassung in Staatsrechtswissenschaft und Theologie der Zwanziger Jahre. Göttingen: Vandenhoeck&Rup­recht 1989. Nicht Alf Christophersen: Kairos 1999.

[6] Beispielhaft Ulrike von Hirschhausen: Die Grenzen der Gemeinsamkeit: Deutsche, Letten, Russen und Juden in Riga 1860 – 1914.  Göttingen: Vandenhoeck&Ruprecht 2006.

[7] Eberhard Busch: Unter dem Bogen des einen Bundes. Karl Barth und die Juden 1933 – 1945. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener 1996.

[8] Um nur zu nennen Eberhard Bethge zu Bonhoeffer (1967), Eberhard Busch zu Barth (1975), Konrad Hammann zu Bultmann (2009), Vicco von Bülow zu Otto Weber 1902-1966. (1999)

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